Dienstag, 22. Juni 2010

Politische Meinungsbildung auf der »Altonale«

Es fängt, das kann man nicht anders sagen, wirklich vielversprechend an. Als wir Samstag Mittag mit elf Leuten, davon einige in selbst bedruckten T-Shirts im parteiamtlichen Plakatdesign mit der Aufschrift »Wenn ich nicht hier bin, bin ich auf'm Frauendeck« (Motiv zuerst gesehen hier) auf dem Altonaer Stadtteilfest auftauchen, werden wir vor dem Info-Stand der Linkspartei begeistert willkommen geheißen: »Super T-Shirts! Seid ihr von der AG Frieden?« Dass wir das nicht sind, lässt unsere Basisinitiative jedoch gleich viel weniger angesagt erscheinen und kühlt den warmherzigen Empfang drastisch herunter. »In Gaza verhungern die Kinder. Das sind Faschisten«, erklärt einer, und ein anderer weist uns nun geradezu frostig auf die ganz großen urheberrechtlichen Probleme hin, die die »Super T-Shirts« mit sich bringen könnten.

Derartige Sorgen macht man sich fünfzig Meter weiter, am Stand der PARTEI, eher nicht so, dort wird unser anderes T-Shirt-Motiv ausdrücklich gelobt. Ein Mann von der CDU verlangt jedoch, dass wir uns mit unseren Flugblättern weiter von seinem Stand entfernen, wegen des an den Palästinensern verübten Unrechts. Konkrete Sondierungsgespräche für eine Ganz Große Koalition gehen daraus aber nicht unmittelbar hervor, da die Partei der »Violetten« mit ihrem Stand dazwischensteht und sich zu der Sache nicht äußern will.

Als wir uns verteilen, um der Bevölkerung die aktuelle Parteilinie zu erläutern, und die vierseitigen Flugblätter schnell einigen Absatz finden, verlegen die Linken sich darauf, vor uns zu warnen: »Das sind Faschisten! Das ist faschistisches Material, was die verteilen!«, klärt einer, der zu diesem Zweck hinter dem Parteistand hervorgekommen ist, eine Weile lang lauthals alle auf, die Gefahr laufen, unser Papier anzunehmen. Eine ältere Frau, die stehengeblieben ist, um den Untertitel zu lesen, und der wir mit den Worten, »Die neue Linie der Linkspartei: Mit Faschisten gegen Israel!«, erklären, worum es geht, blickt mit erheblicher Verwirrung im Gesicht mehrfach zwischen dem Frauendeck-T-Shirt und der großen roten »DIE LINKE«-Tasche des ebenfalls Zettel anbietenden »Faschisten!«-Schreihalses hin und her. Die von uns angebotene Lösung des Rätsels, »Das ist ein Knallkopp!«, leuchtet ihr aber offensichtlich dermaßen ein, dass sie mit dankbarem Lächeln ein Flugblatt nimmt und weitergeht.

Ein sehr alter Mann, der sich mit Faschismus auszukennen scheint, hat nichts zu meckern an der neuen Linie: »Na und? Ist doch richtig so!«, bellt er vor sich hin, geht dann aber lieber schnell weiter. Unser Schreihals verlegt sich irgendwann bei älteren Mitbürgern auf die Warnung, »Das sind Antideutsche!«, scheint aber bei jüngeren die »Faschisten« weiterhin für erfolgversprechender zu halten.

Auch einer seiner Kollegen hat uns mittlerweile enttarnt. Er konfrontiert einen von Mann zu Mann und packt ihn gnadenlos am Gewissen: »Du bist doch ein Antideutscher! Das weißt du doch genau!« Leider kann er nichts damit anfangen, als der ihm bestätigt, dass er das schon gewusst habe, so dass sich nicht wirklich ein Gespräch entwickelt. Bevor das Schweigen peinlich werden kann, kommen zum Glück gerade zwei von der FDP vorbei, denen der Linksmann dringend die neuesten Umfragewerte unter die Nase reiben muss. Hach! Große Politik - und wir mittendrin!

Den Faschismusexperten drängt es jetzt zur Praxis: Er wirft sich vor einem einzeln stehenden Flugblattverteiler in Pose und brüllt: »Ich nehm Dich gleich mal dahinten in die Ecke und verpass Dir eine. Nur ein toter Faschist ist ein guter Faschist!« Dessen Rückfrage, ob er das zitieren dürfe, scheint nicht ganz dem beabsichtigten Effekt zu entsprechen, so dass, schon deutlich leiser, nur ein »Ich zitier dich gleich!« nachkommt - und der Mann sich wieder aufs Diskutieren verlegt. Vom Konzept der Politik zum Anfassen will er aber noch längst nicht lassen, was dazu führt, dass eine Frau mit Frauendeck-Shirt ihn vor lauter engagierter Diskussionsbereitschaft nur noch am ausgestreckten Arm auf Minimaldistanz halten kann. Ihn immerhin scheint das aber nicht zu stören.

Überhaupt versucht man es jetzt wieder im Guten mit uns: Wir sollten jetzt lieber ganz schnell abhauen, lässt der Parteimann vertraulich durchblicken, er habe nämlich eben bei der Roten Flora angerufen, die seien gleich hier. Als auch das nicht hilft und wir uns erst nach anderthalb Stunden, als von den 500 Flugblättern kaum noch welche übrig sind, zum Gehen anschicken, will man wenigstens verhindern, dass wir wiederkommen: Uns kenne man jetzt in Ottensen, dröhnt es, nur dass das klar sei. Die Erwiderung, ihn kenne man jetzt in Mümmelmannsberg auch, trifft den Mann von der Linkspartei unvorbereitet, löst möglicherweise gar Nachdenken aus - auf dessen eventuelle Resultate wir aber nicht mehr warten können.

Auswertung: Diese Partei ist bis auf weiteres nicht unmittelbar gefährlich, könnte es aber werden, wenn sie herausfindet, dass Schlägertrupps gegen »antideutsche« Provokationen nicht bei der Roten Flora, sondern beim Internationalsozialistischen Zentrum B5 zu bestellen sind. - Während das Kandidatinnen-Shirt des öfteren zustimmende Kommentare auslöst, muss selbstkritisch angemerkt werden, dass das Frauendeck-Plakat, als Insider-Witz eindeutig ganz vorne, ein Stadtteilfestpublikum klar überfordert: Kaum jemand (die Partei-Aktiven eingeschlossen) scheint darin auf Anhieb einen Anlass zu finden, es nicht für originales Propagandamaterial der Linkspartei zu halten; wer ein entsprechendes T-Shirt trägt, muss also davon ausgehen, von den meisten dem Parteipersonal zugerechnet zu werden. Das muss man psychisch erstmal aushalten. Dann allerdings kann die Verwirrung durchaus produktiv werden, indem, wie häufig zu beobachten war, Leute, die bei »Linkspartei« schon abgewunken haben, bei »mit Faschisten gegen Israel« mit plötzlichem Fragezeichen im Gesicht vorbeilaufen und dann ein, zwei Schritte weiter auf dem Absatz kehrtmachen und ein Flugblatt haben wollen. Die meisten von denen werden es wohl lesen.

Beschimpfungen wegen Unterstützung völkerrechtswidriger Palästinenserunterdrückung o. ä. werden von der Zivilbevölkerung, verglichen mit ähnlichen Anlässen, auffallend selten geäußert. Dagegen kommt es mehrfach vor, dass Leute derart entnervt auf ein Flugblattangebot mit Worten wie »Gaza-Flottille« oder »Israel« reagieren, dass sie den Rest des Satzes gar nicht wahrnehmen, dann aber hocherfreut sind und noch ein paar mitnehmen wollen, wenn es gerade noch gelingt zu kommunizieren, dass es diesmal gar nicht gegen Israel geht. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein. Ob der zuweilen unverkennbare Überdruss am antiisraelischen Dauerpropagandatrommelfeuer und der immer mal wieder deutlich spürbare Ekel vor der Linkspartei und ihrem internationalen Freundeskreis Anlass zu irgendwelchen Hoffnungen sein kann, ist allerdings eine ganz andere Frage, die sich anhand dieser sporadischen Eindrücke nicht klären lassen wird.